Sie sind hier

Notwehr - ein rechtlicher Exkurs

Für jeden Taekwondoin ist es unumgänglich, sich mit dem deutschen Notwehrrecht auszukennen. Hierfür reicht es nicht (mehr), den Notwehrparagraphen einfach nur auswendig zu kennen oder zu wissen, wo dieser zu finden ist. Da wie bei allen Rechtsgebieten auch bei der Notwehr eine Vielzahl von Definitionen und Rechtsprechungsgrundsätzen zu beachten sind, soll der nachfolgende Exkurs dabei helfen, den Paragraphendschungel etwas übersichtlicher zu machen. § 32 StGB - Notwehr (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Zuerst muss einmal erwähnt werden, dass das Notwehrrecht eine Durchbrechung des sogenannten staatlichen Gewaltmonopols darstellt, nach dem ausschließlich der Staat Gewalt gegen einen Bürger einsetzen darf. Da dies faktisch nicht möglich ist, wurde der § 32 StGB (Strafgesetzbuch) geschaffen, der jedem einen Rechtfertigungsgrund für ein ansonsten strafbares Verhalten liefert, sofern ein Handeln nach Notwehr vorliegt. Dazu müssen die verschiedenen Tatbestandsmerkmale des § 32 StGB verwirklicht sein. Im folgenden sollen diese nun kurz erörtert werden.

Notwehrlage

Zuerst einmal muss eine Notwehrlage in Form eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffes vorliegen.

Gegenwärtig

Und letztlich muß der Angriff auch gegenwärtig sein. Dabei muß der Angriff noch nicht zwangsläufig erfolgt sein, Gegenwärtigkeit im Sinne des Notwehrparagraphen ist in drei Stufen unterteilt:

  1. · Der Angriff steht unmittelbar bevor (Ziehen einer Waffe, Ausholen zum Schlag)
  2. · Der Angriff findet gerade statt (Ein Zerren an der Handtasche)
  3. · Der Angriff dauert noch an (Entfernen mit dem Diebesgut)

Für die Praxis bedeutet dies, dass niemand auf einen tatsächlichen Angriff warten muss. Die objektive erkennbare Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Momenten mit einer Schädigung des Rechtsguts zu rechnen ist, reicht aus. Allerdings sind beendete Angriffe nicht mehr notwehrfähig. Hat der Täter seinen Angriff erkennbar beendet (Rückzug nach einem Schlag), tritt von weiteren Angriffen zurück oder ist nicht mehr angriffsfähig, kann Notwehr nicht mehr greifen. Gewalthandlungen wären dann strafbar.

Rechtswidrig

Der Angriff muss rechtswidrig sein. Dies ist grundsätzlich der Fall, es sei denn, es handelt sich um staatliche Handlungen, wie z.B. Festnahmen durch die Polizei.

Angriff

Ein Angriff kann auf die Rechtsgüter Leben, Leib, Freiheit, Eigentum und Ehre erfolgen und zwar ausschließlich durch menschliches Handeln. Bei einem Hundeangriff kann man sich also nicht auf Notwehr berufen, allerdings greifen hier die Rechtfertigungsgründe der Notstände aus dem BGB. Der Angriff kann gegen die eigene Person oder eine oder mehrere andere Personen erfolgen, auch wenn diese nicht am selben Ort sein muß (z.B. Diebstahl in Abwesenheit des Besitzers).

 

Sind die drei oben genannten Voraussetzungen erfüllt, darf mit einer Verteidigungshandlung gegen den Täter vorgegangen werden.

Notwehrhandlung

Erforderlichkeit

Die gewählte Notwehrhandlung muss erforderlich, d.h.:

  • Geeignet und
  • das mildeste Mittel sein

Geeignet

Geeignet ist jede Verteidigung, die eine sofortige Beendigung des Angriffs mit Sicherheit erwarten lässt und die endgültige Beseitigung der Gefahr am besten gewährleistet. Das ergibt sich immer aus den jeweiligen Umständen – der sogenannten Kampflage - wie körperliche Konstitution, Gewicht, Geschlecht, Bewaffnung (eigene und die des Täters) etc. Für einen 120 kg Boxer sind vollkommen andere Verteidigungshandlungen geeignet als beispielsweise für eine 45 kg Frau. Dabei muß die gewählte Handlung das mildeste geeignete Mittel darstellen. Wichtig hierbei ist, dass keine Rechtsgüterabwägung stattfindet. Angriffe gegen das Rechtsgut Eigentum dürfen durchaus auch gegen das Rechtsgut Leib und sogar Leben des Täters verteidigt werden, sofern kein milderes Mittel denselben Erfolg verspricht. Unsere 45 kg Dame aus dem obigen Beispiel dürfte sich also bei einem gleichen Angriff anderer Mittel bedienen als der 120 kg Boxer. Sie dürfte beispielsweise auch eigene Waffen verwenden, um einem unbewaffneten Angriff eines deutlich überlegenen Gegners zu begegnen. Anders dürfte unser Boxer niemandem beide Beine brechen, wenn ein einfacher Schlag den gleichen Erfolg (Beendigung des Angriffes) ermöglichen würde.

Geboten

Letzten Endes muß die gewählte Notwehrhandlung noch geboten sein. Hier sind Spezialfälle zu nennen, nach denen ein Verteidiger sich anders oder gar nicht wehren darf. Bei klar erkennbar Betrunkenen, Kindern oder Geistesgestörten muß der Verteidiger erst versuchen, einem Angriff zu entgehen (durch Flucht), bevor er sich verteidigen darf. Ist der Angriff vom Verteidiger sogar gewollt und hat er den Täter extra dazu provoziert, darf er sich gar nicht auf Notwehr berufen. Ist das Verhalten zwar provokant, aber nicht auf eine Notwehr abzielend (gegenseitige Beleidigung), muß sich der Verteidiger trotzdem erst zurückziehen, bevor er die sonst übliche Verteidigungshandlung wählen darf. Und es darf kein krasses Missverhältnis zwischen den Rechtsgütern bestehen. Ein Diebstahl einer geringwertigen Sache (etwa eines Apfels) darf nicht mit dem Tod des Angreifers enden, auch wenn kein anderes geeignetes Mittel zur Verfügung steht. Trotzdem muß der Angreifer nicht über die Maße geschont werden. Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Ist der Angriff abgewehrt, so endet auch die Verteidigungshandlung. Überschreitet der Verteidiger seine Notwehr jedoch aus Angst oder Schrecken, kann auch hier das Ergebnis straflos ausfallen, sollte aber nicht die Regel sein. An den Gegner mit den „geringeren Chancen“ d.h. an den körperlich unterlegenen wird in der Regel ein geringeres Maß an die Verhältnismäßigkeit gelegt. Schließlich hat dieser meist nur eine Chance. Trotzdem ist das kein Blanko-Scheck. Der gesunde Menschenverstand gepaart mit einer soliden mentalen Vorbereitung sollte über das Maß der Verteidigung entscheiden. Falsch ist jedoch, dass eigene Gewalt vorher angekündigt werden muß. Dies mag der Fall bei drastischen Verteidigungsmitteln (allen tödlichen Waffen) sein, jedoch kann man in 90 % Prozent aller Fälle darauf verzichten.